DESIGNOFFENSIVE FÜR DIE BILDUNG

Gesellschaftlicher Wandel braucht Gestaltung – gerade jetzt!
Ein Essay von SUSANNE LENGYEL

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»Design ist unsichtbar«

schreibt Lucius Burckhardt vor 40 Jahren und endet seinen
viel diskutierten Text mit den Worten:

»Damit ist heute gemeint: das konventionelle Design, das seine Sozialfunktion selber nicht bemerkt. Damit könnte aber auch gemeint sein: ein Design von morgen, das unsichtbare Gesamtsysteme, bestehend aus Objekten und zwischenmenschlichen Beziehungen, bewusst zu berücksichtigen imstande ist.«
Mittlerweile hat die von ihm vorhergesagte, erhebliche »Ausweitung der Designzone« stattgefunden: Methoden des Designs sind im Management von Unternehmen, Organisationen und Institutionen genauso angekommen (Design Thinking) wie in der Stadtentwicklung (Socio City) oder sie helfen bei der Bewältigung sozialer Spannungen und gesellschaftlicher Entwicklungsaufgaben (Social Design). Nicht nur Unternehmensberatungen nutzen die Konkretisierung- und Vermittlungsfähigkeit des Designs, diese helfen auch dabei, sehr unterschiedlich agierende Disziplinen wie Wissenschaft, Forschung, Technik, Marketing und Kommunikation je nach Bedarf in ein immer wieder neues, produktives Miteinander zu bringen. Die intuitive Nutzbarkeit und damit Akzeptanz von Produkten, Programmen und Vorgängen wird – dank User Interface Design – immer öfter als das Produkt selbst erlebt. Die Zeiten, in denen Design sich in erster Linie um die Hülle, das Hübschmachen gekümmert hat, sind vorbei – auch wenn die breite Öffentlichkeit nach wie vor mit schlecht gestalteter Werbung bombardiert oder mit gut gemachten Lifestyle-Produkten zum Konsum verführt werden soll.

Ein Feld wurde bisher von den Designerinnen und Designern noch eher wenig ins Augenmerk genommen: die Bildung.

Natürlich gibt es, wie sollte es anders sein, immer wieder intensive Diskussionen darüber, wie die beste Designausbildung aussieht – und auch hier ließe sich mit Sicherheit, gerade angesichts der oben beschriebenen, immer umfangreicher werdenden Aufgaben, ganz viel verbessern. Darum soll es aber beim im Folgenden näher beschriebenen Projekt nicht, zumindest nicht in erster Linie, gehen.
Die Bildungssysteme in Deutschland stehen unter Druck und brauchen dringend Erneuerung. Es war und ist überraschend, wie viel Veränderung notgedrungen in kürzester Zeit möglich war – das gibt Hoffnung! Trotz eines Digitalpakts ist Schule jedoch weit entfernt davon, digital oder gar nachhaltig zu sein. Nicht viel anders sieht es in Universitäten aus oder gar bei der Fort- und Weiterbildung von Erwachsenen. Nicht als Allheilmittel, aber wenn Designmethoden und Creative Technologies in zukünftige Bildungskonzepte integriert würden, entstünde neues Denken. Kreativität und Flexibilität, Vielfalt und Interdisziplinarität sind entscheidende Lernfelder für Menschen aller Altersstufen – Felder, in denen Design zu Hause ist.

»Eigensinn, Kreativität, Querdenkertum und soziale Kompetenz sind die Fähigkeiten, die heute von weitaus größerer Bedeutung sind als im vorigen Jahrhundert. Doch all das kann man nicht auswendig lernen oder durch Leistungskontrollen messen. Auf die Herausbildung dieser besonderen Fähigkeiten sind unsere Schulen und Hochschulen nicht vorbereitet. « – so beschreiben es Gerald Hüther und Uli Hauser in ihrem Buch Jedes Kind ist hoch begabt. In vielen Ländern dieser Welt hinken die staatlichen und beruflichen Bildungssysteme den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, den wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen deutlich hinterher. Zu einem Round Table haben sich im Herbst vergangenen Jahres ein paar Designerinnen und Designer, Lehrende und Praktiker, zusammengesetzt und erste Gedanken skizziert:

Der NEW EDUCATION CIRCLE (NEC) entwickelt Konzepte, um das Potenzial der kreativen Berufe wie Design und Architektur sowie anderer kultur- und kreativwirtschaftlicher Berufe zum Wohle aller nutzbar zu machen.

Design als Idee, als Haltung, Methode und Handwerk, wird dringend auch in der Bildung gebraucht! Anderweitig wird Deutschland das Klassenziel verfehlen – und zwar in den entscheidenden Zukunftsfeldern Nachhaltigkeit und Digitalisierung … und auch als Innovationsstandort!

Susanne Lengyel – Wissenschaftlich fundiert und praktisch versiert, gründete sie während ihres Industrial-Design- Studiums in Essen/Manchester Merzkirch & Runge Design. Sie war leitende Designerin für Miele, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Duisburg-Essen mit internationalen Lehraufträgen in Schweden, Umea School of Design, und Rom, Istituto Europeo di Disegno, und half beim Aufbau der Zollverein School of Management and Design, Essen, mit. Als Designberaterin hat sie vielfach an international ausgezeichneten Produkten mitgewirkt. Heute ist sie Professorin an der Hochschule Hamm-Lippstadt mit dem Lehrgebiet Engineering Design und Prototyping. Als Gründungsdekanin führte sie die Studiengänge Computervisualistik und Design, Interaktionstechnik und Design sowie Betriebswirtschaftslehre ein. Seit 2016 ist sie Vizepräsidentin der Hochschule für Studium und Lehre.